Am Sportplatz, 57234 Wilnsdorf
Postfach 3104, 57229 Wilnsdorf

Als die Weißtaler B-Jugend den VfR Sölde besiegte, wurde die Pistole gezückt

Als die Weißtaler B-Jugend den VfR Sölde besiegte, wurde die Pistole gezückt

Es gibt Geschichten, die klingen so bizarr und schräg, dass man sie kaum glauben mag. Eine solche Story ereignete sich vor rund 40 Jahren auf dem altehrwürdigen Henneberg-Sportplatz in Gernsdorf. Die B-Jugend des TSV Weißtal kämpfte in der Saison 1979/80 mit einernahezu komplett jüngeren Jahrgangsmannschaft – lediglich Paul-Josef „Pauli“Hoffmann, „Engels Udo“ (Udo Görg) und Markus Schäfer zählten zu den „Älteren“ – von Beginn an um den Klassenerhalt in der Fußball-Bezirksliga.

Am 30. September 1979, dem 4. Spieltag, gastierte der VfR Sölde am Henneberg, der damals noch mit roter Asche ausgestattet und von dichtem Wald umrandet war – eine urige Arena, von vielen Gastmannschaften gefürchtet. Zunächst lief auch alles nach Plan für die Jungs aus dem Dortmunder Ortsteil, die als Tabellenführer mit 6:0 Punkten (damals galt noch die Zwei-Punkte-Regel) und 18:1 Toren angereist waren. Der TSV Weißtal rangierte mit 2:4 Zählern im unteren Mittelfeld. Sölde ging mit 1:0 in Führung und behauptete diese bis fünf Minuten vor Schluss. Doch dann überschlugen sich die Ereignisse: Nach einem Foul an Guido Ivacic verhängte der Unparteiische einen Freistoß an der Strafraumgrenze für den TSV Weißtal – und Ralf Berndt versenkte diesen eiskalt und humorlos zum 1:1.

„Einfach so“, schmunzelt der heute 53-jährige Gernsdorfer Jahrzehnte später im Gespräch mit der Siegener Zeitung. Damit aber noch nicht genug: Die Weißtaler kämpfen weiter wie die Löwen. „Wir brauchten jeden Punkt, weil uns bewusst war, dass es eine beinharte Saison für uns wird“, erinnert sich Ralf Berndt, der kurz vor dem Abpfiff ein weiteres Mal in den Blickpunkt rückte. Diesmal hatte der Schiedsrichter ein Sölder Handspiel kurz vor dem Strafraum geahndet, und erneut

gab es Freistoß für den TSV. Fast 40 Jahre später ist es nun an der Zeit, mit einer Legende aufzuräumen, die sich über die Jahrzehnte hartnäckig behauptet hat. Laut Weißtaler Geschichtsschreibung und -erzählung erzielte „Ralle“ Berndt damals beide Tore. „Das stimmt nicht ganz“, grinst Guido Ivacic anno 2018 beim Wiedersehen am Henneberg. „Da die Sölder beim 1:1 gesehen hatten, wie gewaltig unser Ralf schießen kann, stellten sie beim zweiten Freistoß einen Feldspieler auf die Torlinie, um den Torwart zu unterstützen. Der konnte Ralfs Geschoss tatsächlich abwehren, aber nur unkontrolliert. Den Abpraller habe ich dann im Nachsetzen irgendwie mit der Hacke über die Linie gedrückt“, verrät Guido Ivacic, der später als Spieler der SG 06 Betzdorf den Sprung bis in die Verbandsliga schaffte – das war damals, vor Einführung der Regionalligen und lange vor Geburt der 3. Liga, die vierthöchste Spielklasse in Deutschland unter den beiden Bundesligen und der Oberliga.

Die Weißtaler brachten den knappen 2:1-Vorsprung über die Zeit und bejubelten zwei wertvolle Punkte. Was dann kam, erinnert an Szenen aus einem schlechten Actionfilm: Ein Sölder Spielervater rastete völlig aus. Er machte in dem Unparteiischen den „Schuldigen“ für die erste Saisonniederlage aus und schlug diesen zu Boden. Als die TSV-Verantwortlichen eingriffen und den „23. Mann“ schützten, rückten diese in den Wut-Fokus des Sölders. „Er rannte zu seinem Auto, griff in das Handschuhfach und kam mit einer Pistole zurück“, erläutert Ralf Berndt, dessen Vater Werner Berndt, zugleich Trainer der damaligen Weißtaler B-Junioren, sein Team sofort zusammenholte und in der Kabine einschloss.

TSV-Jugendleiter Alois Ivacic stand aber noch draußen und beschützte weiterhin den Schiedsrichter. Wie die Siegener Zeitung von 1. Oktober 1979 berichtet, fiel die Wortwahl des Sölder Spielervaters nicht gerade höflich aus: „Ich knall dich ab, du Schwein!“, soll er dem Weißtaler Jugendchef zugebrüllt haben. „Alois flüchtete durch den nahen Wald bis zum damaligen Jagdhaus und alarmierte von dort aus die Polizei. Inzwischen waren die Sölder mit ihren Autos abgerückt, das Kennzeichen des Übeltäters war jedoch notiert worden. Der Pistolenbesitzer wurde dann von der Polizei auf der Autobahn in Höhe Freudenberg gefasst. Es gab auch eine Sportgerichtsverhandlung, doch da er nur ein Spielervater war, der dem Verein VfR Sölde nicht angehörte, konnte Sölde nicht belangt werden – wohl aber ein anderer Verein, in dem der Mann Mitglied war“, erinnert sich Ralf Berndt noch sehr genau an die Einzelheiten.

 

Rein sportlich betrachtet fand die Saison zumindest für einen der beiden Vereine ein Happy End: „Wir haben den Klassenerhalt geschafft“, grinst Pauli Hoffmann. Der TSV Weißtal rettete sich mit 12:28 Punkten, der VfR Sölde wurde mit 31:9 Zählern letztlich Dritter hinter Meister Sportfr. Siegen (36:4) und Rot-Weiß Lüdenscheid (ebenfalls 31:9).

Ralf Berndt kickte damals nicht nur in der Kreisauswahl, sondern sogar in der Westfalenauswahl. „Mit dem ebenfalls aus Gernsdorf stammenden Gerdi Hartmann sowie den beiden Niederscheldenern Wolfgang Bader und Bernd Trottner sowie Torsten Opitz aus Laasphe waren wir insgesamt fünf Jungs aus unserem Kreisgebiet und lagen bei den Lehrgängen in Kaiserau immer zusammen auf einem Zimmer. Hartmann und Bader spielten damals für die Siegener Sportfreunde. Von unseren Auswahl-Jungs aus dem Ruhrgebiet wusste kein Mensch, wo Weißtal eigentlich liegt. Wenn sie dann mit ihren Vereinen aus Bochum, Dortmund oder Wattenscheid bei uns spielten, habe ich ihnen gesagt: Seht ihr, das hier ist Weißtal“, berichtet Berndt, der den 30. September 1979 so schnell nicht vergessen wird: „Damals ging es noch wirklich heftig zu. Das waren Bilder wie im Wilden Westen …“

(Artikel und Bild: Frank Kruppa/Siegener Zeitung)